Folgender Redebeitrag wurde im Mai 2023 auf unserer ersten Bündniskundgebung von Ladenschluss. Aktionsbündnis gegen Neonazis gehalten:
Dass Antisemitismus in Teilen der radikalen Linken weit verbreitet ist dürfte nach den Interventionen der letzten 30 Jahre hoffentlich allen bewusst sein. Dabei fehlte jedoch weitgehend die kritische Auseinandersetzung mit dessen Rolle als Bindeglied mit unterschiedlichsten regressiven Bewegungen. Dass Antisemitismus immer wieder auch Berührungspunkt zwischen sich als links verstehenden Projekten und der extremen Rechten war, wird innerhalb linker Bewegungen gern unter den Tisch fallen lassen. Wir wollen hier nachhelfen und einen kurzen historischen Überblick geben.
Bereits am deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt bekam der nach außen getragene Antifaschismus der UdSSR und der Komintern Risse, wurde der Antifaschismus hier doch geopolitischen Interessen untergeordnet. Selbstverständlich darf bei dieser Kritik nicht unterschlagen werden, dass die Rote Armee die meisten Toten im Kampf gegen den Nationalsozialismus zu beklagen hatte, und doch war der Hitler-Stalin-Pakt eine von vielen historischen Zäsuren, die progressive Kommunist:innen zur Abkehr vom sowjetischen Gesellschaftsentwurf bewegten.
In den 1950ern wurden antisemitische Politiken im sowjetischen Einflussbereich noch deutlicher sichtbar: eine Reihe von oft antisemitisch gefärbten Schauprozessen, angefangen bei den Moskauer Ärzteprozessen, über den Prozess gegen Noel Field in Ungarn hin zum Prozess gegen Rudolf Slansky in Prag, dem größten dieser Schauprozesse, zeigte, dass sich die Hoffnung nach universeller Emanzipation unter dem Roten Stern vorerst nicht realisieren wird.
Springen wir einige Jahrzehnte nach vorne: Im Zuge der sowjetischen Nahost-Politik, die sich vor allem in einem Buhlen um die Gunst der arabischen Staaten vor der Folie der Blockkonfrontation abspielte, wurde der antisemitische Charakter der antizionistischen Politik im sowjetischen Einflussbereich ab den 1970ern noch deutlicher: nicht nur wurde der Begriff des Holocaust mal eben so umgedeutet, dass er „für den millionenfachen Mord an Juden in den Todeslagern des Hitlerfaschismus und neuerdings für den Ausrottungsfeldzug Israels gegen das palästinensische Volk“ gebraucht wurde, der Fall Odfried Hepp zeigt auch, wie Instrumentell der DDR-Antifaschismus in mancherlei Momenten werden konnte.
Odfried Hepp gilt als eine der Schlüsselfiguren des Westdeutschen Rechtsterrorismus der 1980er Jahre: er wurde als Mitglied der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ geführt, die für das Oktoberfestattentat in München und den antisemitischen Doppelmord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke im Jahr 1980 verantwortlich war. 1982 begann der Kontakt zwischen Hepp und dem Ministerium für Staatssicherheit, der, wegen des bürokratischen Charakters der Stasi recht gut dokumentiert ist. Der bekennende Antiimperialist Hepp informierte das MfS dabei über die interne Struktur seiner terroristischen Gruppe, wie auch deren Pläne für Anschläge auf US-Amerikanische Einrichtungen. Dafür stellte das MfS nicht nur Kontakte zu PLO, der Palestinian Liberation Organization her, für die Hepp daraufhin auch arbeitete, die Stasi half ihm 1983 auch bei der Flucht nach Syrien.
Im übrigen geht aus diesen Akten auch hervor, dass es Pläne zur Kooperation der Hepp-Kexel Gruppe mit der RAF gab, deren Führungsriege „grundsätzlich keine Einwände“ hatte, eine Zusammenarbeit wegen des Fahndungsdrucks aber nicht möglich sei. Dies dürfte noch einmal unterstreichen, dass die Verbindende Rolle, die Anti-Amerikanismus und Antizionismus für diese Unheilvollen Allianzen spielten nicht zu unterschätzen ist.
Aber zurück zur Stasi. Neben der Zusammenarbeit mit Hepp überwachte das MfS auch einige Prominente Neonazis der 1980er: zu Arnulf Priem und Manfred Roeder gibt es auch Aktenbestände, die deren Überwachung durch die Stasi belegen – auch wenn das MfS in beiden Fällen nie tätig wurde weil keine Bedrohung der DDR festgestellt wurde. Mit Blick auf den DDR-Antifaschismus kommt Samuel Salzborn in der Auseinandersetzung mit diesen Drei Fällen zu folgendem Schluss: „Das MfS empfand offensichtlich nicht den Kampf gegen Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus als zentral, sondern in Fällen, die opportun erschienen und bei denen man aufgrund des eigenen Antisemitismus und des eigenen Antiamerikanismus hohe weltanschauliche Übereinstimmungen zu den westdeutschen Nazi-Terroristen ausmachte, wurde sogar über Jahre hinweg der Rechtsterrorismus aktiv unterstützt.“ Der Umgang mit NS-Tätern wie Josef Settnik, einem Aufseher in Auschwitz, der als Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi eingesetzt wurde, Johannes Adam, einem ehemaligen Wachmann in Auschwitz, der trotz des Wissens um seine Täterschaft eine Professur an der Uni Halle erhielt oder Hans Christoph-Hempel, der an den Euthanasie-Morden an der Leipziger Kinderklinik beteiligt war und nach Karl-Marx-Stadt versetzt wurde als das MfS dies herausfand zeigt wie lapidar der Umgang mit vielen NS-Tätern im vermeintlich antifaschistischen Staat doch war.
Doch springen wir ins heute: Denn Antiamerikanismus und Antisemitismus können immer noch als Bindeglied zwischen autoritären Kommunist:innen, Anti-Imperialist:innen und Rechten Bewegungen gefunden werden. Sei es nun Hassan El-Kassem, der von der Berliner Gruppe FOR Palestine in den Vorstand der Jungen Alternative wechselte, der Rapper Makss Damage, der die Wende vom Stalinisten zum Neonazis vollzog, die Rot Jugend Aachen, die ehemalige Kader der Partei „Die Rechte“ bei sich aufnahm, die das NS-Reenactment durch Sowjetcosplay ersetzen und dabei weiterhin antisemitische Propaganda verbreiten, oder der Rapper Taktikka, der bei Instagram auch gerne Bilder von Neonazis liket die „Hitler“-Shirts tragen. Auch der Berliner Jugendwiderstand, von dem glücklicherweise lange nichts mehr zu hören war, nahm Kader aus NPD und Kameradschaftsstrukturen bei sich auf.
Eine Linke, die es also ernst mit dem Antifaschismus meint und diesen nicht nur als eine Worthülse vor sich herträgt sollte sich also auch selbstkritisch mit ihrer eigenen Geschichte auseinandersetzen. Sowjetcosplay, das vor den Schablonen des letzten Jahrhunders stattfindet ist dabei kaum mehr als der Versuch, die Überforderung mit der Moderne mit einfachen Mustern von Gut und Böse zu kompensieren und sich in eine idealisierte Vergangenheit zu flüchten. Lasst uns lieber gemeinsam um progressive Gesellschaftsentwürfe im hier und jetzt streiten anstatt uns in Retrotopien von links zu verlieren und dabei die Interventionen der letzten Jahrzehnte nicht vergessen.