Redebeitrag Utopie und Praxis Leipzig: Kritik regressiver Kapitalismuskritik

Folgender Redebeitrag wurde bei unserer ersten Bündniskundgebung im Mai 2023 von Utopie und Praxis Leipzig gehalten:

Kapitalismus ist irgendwie scheiße. Die bauchlinke Kapitalismus“kritik“, sie begegnet uns in Kneipengesprächen oder auf Social Media und ist sicher oftmals kein schlechter Ausgangspunkt. Aber eben nur, wenn man dieses diffuse Verständnis als Anlass nimmt, sich tiefergehend kritisch mit dem Kapitalismus, der Kritik an Ware, Wert, Arbeit und Kapital auseinanderzusetzen. Warum nicht jede Ablehnung des Kapitalismus automatisch ein guter Minimalkonsens ist und was der Unterschied zwischen tatsächlicher Kapitalismuskritik und Ressentiment ist, welches schnell zu antisemitischen Welterklärungsmustern führen kann, wollen wir im folgenden Redebeitrag erläutern. Denn falsche Kritik an den bestehenden Verhältnissen ist nicht besser als das Bestehende, sondern kann sogar einen Rückschritt bedeuten. Diese Position gilt es mit Blick auf den Antisemitismus, der uns auch in der Linken begegnet, zu unterstreichen.
Eine progressive Überwindung des Kapitalismus ist aus unserer Sicht nur möglich durch eine Analyse der Verhältnisse, welche das System und nicht die Vertreter*innen im Fokus hat. Außerdem muss eine Auseinandersetzung mit vergangenen wie gegenwärtigen Kapitalismuskritiken erfolgen. Nur durch ein Bewusstsein gegenüber rückschrittlichen Tendenzen in Teilen einer irgendwie-linken Bewegung kann eine Perspektive für eine bessere Zukunft entwickelt werden.
Die regressive Spielart des Antikapitalismus, wie sie uns häufig von links begegnet, neigt dazu, Ware, Wert und Arbeit als natürliche Phänomene zu betrachten. Die (in Anführungszeichen) “ehrliche” warenproduzierende und wertschaffende Arbeit wird als positiver Gegenpol zur Aneignung des Mehrwerts (vereinfacht gesagt/also: des Gewinns, den die Lohnabhängigen erwirtschaftet haben) durch die Kapitalist*innen gesehen.
Die Kritik verharrt in dem Zusammenhang also auf der Ebene, dass die ehrlich Arbeitenden mehr Geld bekommen würden, wenn es nur nicht die gierigen Kapitalist*innen gäbe, die die Menschen, wahlweise das Volk, ausbeuteten. Eine Kritik daran, dass Menschen gezwungen sind, ihre Arbeitskraft als Ware zu verkaufen und somit ausgebeutet werden, bleibt aus. Stattdessen wird das Feindbild des “Finanzkapitals” konstruiert, das angeblich vom “normalen Kapital” unterschieden werden könnte. So ist der Weg nicht mehr weit zum Mythos einer Schattenmacht global agierender “Bankster”, welche die Arbeiter*innen betrügen und die Fäden im Hintergrund in der Hand halten. Politiker*innen fungieren in diesen Erzählungen oft als Marionetten.
Für das nicht-eingelöste Glücksversprechen des Kapitalismus wurden und werden also die sogenannten Kapitalist*innen verantwortlich gemacht – eine Personifizierung abstrakter Verhältnisse. Das passiert in der konkreten Person des Juden, aber kann auch antisemitisch codiert sein, wenn nicht direkt von ihnen gesprochen wird, sondern sich das Ressentiment gegen jüdische Familien wie die Rothschilds oder Rockefellers entlädt, die für Ausbeutung und auch sonst alles Elend auf der Welt verantwortlich gemacht werden.

Was wir brauchen ist also eine Kritik des Kapitals und nicht eine an Kapitalist*innen. Kritik an letzteren ist nicht ansatzweise ausreichend, sondern es muss Gegenstand der Kritik werden, dass überhaupt Menschen, vermittelt über ihre Arbeitskraft, zur Ware werden.

Wir wollen selbstbestimmt tätig sein oder eben auch mal nicht. Aktuell können Menschen nicht darüber entscheiden, was sie brauchen und wollen, sondern nur, was sie sich leisten können. Das stellt den Zwang zum Verkauf der eigenen Arbeitskraft dar. Die Gegnerschaft zum Arbeitszwang bedeutet dabei nicht, die Notwendigkeit menschlicher Tätigkeit zu negieren.

Des Weiteren führt der unkritische Bezug auf Arbeit in der Linken zu einer Überschätzung des fortschrittlichen Potentials der Arbeiter*innenklasse. Das Sprechen von der guten Arbeiter*innenklasse – das essentialisierende Mantra roter Gruppen – lässt sich nicht an den historischen Fakten halten. Aus dem Ausbeutungsverhältnis erfolgt nicht automatisch die Erkenntnis über die Notwendigkeit der Abschaffung des Kapitalismus und das Eintreten für die befreite, also klassenlose Gesellschaft. Die überproportional hohe Zustimmung zur AfD unter Gewerkschafter*innen ist nur ein Beispiel für diesen Befund.
Und dass Antisemitismus eine einfache Antwort war, die von weiten Teilen der Bevölkerung mitgetragen wurde und sich die Arbeiter*innenklasse nicht geschlossen gegen den Nationalsozialismus stellte, zeigte Auschwitz in letzter Konsequenz.
Auf Grundlage von solchen und weiteren Analysen ist unser Ziel daher, den Wunsch nach einem besseren, dem schönen, dem befreiten Leben wieder in den Mittelpunkt zu rücken. Die gefühlte Ohnmacht gegenüber dem Bestehenden soll nicht mit “sich ergeben” oder verkürzter Kritik und damit einhergehenden antisemitischen Ressentiments beantwortet werden. Das war, ist und bleibt immer falsch!
Deswegen gilt: Für den Kommunismus, für die befreite Gesellschaft – gegen jeden Antisemitismus!