Das Wohn- und Kulturprojekt B12 hielt auf unserer Demonstration „Jetzt erst recht – gegen den antisemitischen Normalzustand“ am 19.11.2023 in Leipzig folgenden Redebeitrag, der sich kritisch mit dem Umgang der radikalen Linken in Leipzig mit Antisemitismus und dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 07.10.2023 beschäftigt:
Wir, die B12, sind ein linkes, israelsolidarisches und feministisches Hausprojekt im Leipziger Süden, das es seit Mitte der 90er gibt. Israelsolidarisch war die B12 nicht immer, ist es aber seit vielen Jahren. Daran halten wir fest. Weil Antifaschismus nicht ohne die Kritik des Antisemitismus auskommt, aus der die Solidarität mit Israel eine notwendige Schlussfolgerung ist. Einzelne von uns waren direkt an den Vorbereitungen für die heutige Demo beteiligt. Das ganze Projekt hat sich nach Kräften bemüht, sie zu unterstützen. Uns ist es wichtig, heute über die vergangenen 6 Wochen zu sprechen. Über Reaktionen auf unser politisches Verhalten und über das Schweigen der Linken zum Massaker vom 7. Oktober. Denn die politische Einsamkeit als israelsolidarischer Zusammenhang hat uns in den vergangenen Wochen belastet.
Das Massaker vom 7. Oktober 2023 muss als Zäsur begriffen werden. Wegen seiner genozidalen Qualität, wegen seiner minutiösen militärischen Planung, wegen der sadistischen Zurschaustellung seiner Opfer, weil es als Androhung der totalen Vernichtung verstanden werden muss. Der anschließende Schock saß sehr, sehr tief. Im Verlauf des Tages selbst und den folgenden Tagen sind immer grausamere Einzelheiten der Terrorakte bekannt geworden. Wie unzählige andere Menschen haben auch wir uns verzweifelt und ohnmächtig gefühlt. So haben wir auch das Schweigen eingeordnet, das uns in der Leipziger Linken aufgefallen ist. Bei Teilen dieser Linken hat es nicht lange angehalten.
Nach weniger als zwei Wochen zeigte sich, dass das Kalkül der Hamas aufgegangen war: Das Massaker stellte sich als erfolgreichste PR-Aktion ihrer Geschichte heraus. Sobald Israel mit der unumgänglichen Selbstverteidigung begann, verwandelte sich der globale Antisemitismus in einen Flächenbrand. Das Ausmaß der antisemitischen Gewalt und Hetze im Netz und auf der Straße lässt sich kaum mehr beziffern. Die ohnehin nie überwundene Bedrohungslage für jüdische Menschen ist auf eine Weise eskaliert, durch die nun um die Zukunft von Jüdinnen und Juden in der Diaspora gebangt werden muss. Das ist eine Bilanz, die eine emanzipatorische Linke zutiefst bestürzen müsste! Stattdessen schlossen sich die hiesigen Linken, die auf die Straße mobilisierten, der Hetze gegen Israel an. Bei linken Gruppen und Aktivist:innen, die nicht in das Bejubeln des Hamas-Terrors eingestimmt haben, überwiegt nach wie vor Schweigen.
In der ersten Woche nach dem Massaker fanden in Leipzig zwei israelsolidarische Gedenkkundgebungen statt. Organisatoren waren das Junge Forum und die Deutsch-Israelische Gesellschaft. Wir sind sehr dankbar für die Organisation beider Kundgebungen binnen kurzer Zeit. Es kamen aber jeweils nicht mehr als 400 Personen zusammen, von denen ohnehin nur ein Teil der Linken zugeordnet werden kann. Die heutige Demo ist die erste antifaschistische Demonstration, die sich an die Seite Israels stellt und dem antisemitischen Normalzustand in Leipzig entgegentritt. Gegendemonstrationen gegen Handala und Konsorten blieben aus. Der Mangel an sichtbarer und praktischer Solidarität mit Jüdinnen und Juden ist traurig. Das alles ist ein Armutszeugnis für eine Stadt mit einer ehemals starken israelsolidarischen Linken.
Für uns als politischen Zusammenhang hat sich schnell die Frage aufgetan, ob es etwas gibt, das wir tun können. Also das Naheliegende zuerst: Israelfahne und Transpi an die Fassade; kurzes Statement auf Social Media. Darauf sind wir nicht stolz! In Anbetracht der Lage sollte das selbstverständlich sein, auch, wenn es sich nur um ein symbolisches Zeichen der Solidarität handelt. Und trotzdem: Wie viele Israelfahnen habt ihr auf dem Weg hierher an den Häusern gesehen? Wie viele Solidaritätsbekundungen mit Jüdinnen und Juden sind euch im Stadtbild, in den linken Szenevierteln untergekommen? Machen wir uns nichts vor! Natürlich haben solche Aktionen keine reale Auswirkung auf das Leid in Israel. Aber Solidarität mit Israel bedeutet immer Solidarität mit allen Jüdinnen und Juden! Beinahe die Hälfte von ihnen lebt in Israel und die große Mehrheit, auch in der Diaspora, befürwortet seine Existenz als Schutzraum.
Neben Zuspruch für unsere Positionierung schlugen uns auf Social Media auch Beleidigungen und latente Drohungen entgegen. Die B12 ist nicht nur ein Projekt, sondern auch unser Zuhause. Und so hatten wir in der ersten Woche nicht nur wegen der Nachrichten schlaflose Nächte, sondern auch aus Sorge vor Angriffen. Die sind glücklicherweise ausgeblieben, sieht man von den wenigen Stickern und Tags an Haustür und Fassade ab.
Um dem anhaltenden Ohnmachtsgefühl zu begegnen, entschlossen wir uns auch zur Veranstaltung eines Soli-Tresens für Israel. Daran wurde besonders moralinsauer Anstoß genommen. Die Beiträge reichten vom Wunsch nach einem starken Staat, der so etwas verbieten möge, über den Versuch, die Bewerbung auf Social Media löschen zu lassen bis hin zum Ausdruck antisemitischer Affekte in Form kotzender Emojis. Im Nachgang haben es sich dann anonyme Autor:innen auf knack.news nicht nehmen lassen, uns mit ein bisschen Küchenpsychologie das Identifikationsbedürfnis mit den „Mächtigen“ zu diagnostizieren. Wir wissen schließlich alle – niemand ist mächtiger als Israel. All das beweist, dass es möglich ist, als politischer Zusammenhang wenigstens zu versuchen, Solidarität zu zeigen – wie unbeholfen auch immer.
Warum fällt es nun so vielen Linken schwer, sich israelsolidarisch zu positionieren? Oder wenigstens solidarisch mit den Jüdinnen und Juden in der Diaspora? Immerhin ist die Bedrohungslage offensichtlich sehr groß und für gewöhnlich bekommen Linke immer das Maul auf. Wir kennen sie doch alle: Einzelpersonen und Politgruppen, die mit verschiedenen Vorwürfen recht locker aus der Hüfte schießen. Es heißt soundso sei rassistisch, faschistisch, eine TERF und eine SWERF. Abgrenzung und Ausschluss sind schnell vollzogen. Nur jetzt, wo Ausschlüsse von antisemitischen Gruppen und praktische Solidarität mit Jüdinnen und Juden so dringend nötig sind, wird gehadert. Vielleicht wird es durch das Schweigen leichter, mit den ganzen hippen, bauchlinken Kunst- und Kulturleuten weiter auf Parties zu gehen oder sich bei der nächsten Demo wieder neben die Antisemiten zu stellen.
Wir wollen an dieser Stelle die Antifaschistische Linke Eisenach erwähnen, die vorgestern eine Demonstration gegen Nazis vor Ort abgesagt hat, da auch „Young Struggle“ dazu aufgerufen hatte. Es wird sich geweigert, mit Antisemiten zu demonstrieren. Die Absage finden wir traurig, aber notwendig – keine Kompromisse mehr!
Stumm zu bleiben ist keine Option! Die Propagandamaschine der Hamas und ihrer Kompliz:innen läuft ohne Unterbrechung. Es zeigt sich jetzt mehr denn je, wie viele Menschen für sie empfänglich sind. Gespräche mit Freund:innen und Bekannten müssen geführt werden; Diskussionen auf dem Plenum auch. Und der zunehmenden Präsenz roter Gruppen muss endlich eine umfangreiche Vernetzung emanzipatorischer und antisemitismuskritischer Gruppen entgegengesetzt werden. Eine linke Bewegung muss sich für das Leben von Jüdinnen und Juden sowie die Sicherheit Israels einsetzen, andernfalls ist sie reaktionär und unsere jüdischen Genoss:innen werden fern bleiben.
Linke müssen endlich das Maul aufkriegen!
Danke allen, die bereits laut sind!
Antifa heißt Solidarität mit Israel!