Liebe Demoteilnehmer, liebe Genossinnen und Genossen,
wie vor einem Jahr richten wir wieder ein Grußwort an euch. Nur haben
sich die Vorzeichen seit dem 7. Oktober komplett gewandelt. Nach dem
größten antisemitischen Massaker seit der Shoah hat Israel seine
Verteidigungskraft, die immer eine um seine Existenz ist, wiedererlangt.
Selbst der direkte Angriff des Iran konnte dank Iron Dome,
us-amerikanischer, britischer und arabischer Unterstützung fast komplett
abgewehrt werden. Unsere Gedanken sind weiterhin bei den 128 Geiseln,
die immer noch im Gazastreifen festgehalten werden, und ihren
Angehörigen. Möge Israel sie befreien und seine Kriegsziele erreichen.
Der seit dem 7. Oktober auch hierzulande offen grassierende
Antisemitismus kommt maßgeblich nicht von rechts oder der AfD. Die teils
großen Demonstrationen, die Hochschulbesetzungen, die Störaktionen am
Holocaustgedenktag in Auschwitz, die brutalen antisemitischen Attacken
entspringen der linken oder muslimischen Ecke – oder beiden. Auch wenn
die traditionell israelhassenden K-Grüppchen hier in Leipzig sich immer
größerer Beliebtheit erfreuen und gleichzeitig das Massaker der Hamas
und Konsorten feiern, spielt der Haufen gesamtgesellschaftlich aber eine
noch geringere Rolle als der militante Neonazismus. Die antisemitische
Avantgarde ist das nicht.
Sie sind vielmehr der Anhang dessen, was sich im Zuge des
Postkolonialismus als oftmals neuere Form der Regression an den
Hochschulen etabliert hat. Wer es mit der Bekämpfung des Antisemitismus
ernst meint, kann die Augen davor nicht verschließen. Es reicht ein
Blick auf die muslimischen und antiisraelischen Demos, Camps und
Konferenzen, die sich immer mehr dahin verlagern, wo überhaupt solches
Denken in den letzten Jahren seinen Ursprung hat: den Universitäten.
Hinzu tritt im unmittelbaren Zusammenhang die Kulturszene, die damit
eine unheilvolle Melange bildet. Hier lässt sich eine Entwicklung
beobachten, die gern mit einer Entprovinzialisierung Deutschlands
beschrieben wird. Man will endlich wieder in internationalen Debatten
eine Rolle spielen. Dafür müsse man sich jedoch vom eingeschränkten,
eurozentristischen Blick auf die Shoah verabschieden, ob bei der
Documenta, der Berlinale, dem Uniseminar oder der Sturasitzung. Dabei
importiert man sich gern die authentischen Stimmen des so genannten
globalen Südens, die sich in den meisten Fällen aber eigentlich im
Westen bewegen. Oder man sucht, wie Claudia Roth, den Anschluss, in dem
diese „Positionen“ Einzug im neuen Gedenkstättenkatalog erhalten sollen.
Tatsächlich schafft Deutschland damit ebenso wieder etwas originär
Neues: Die eigene Gedenkpolitik medien- und ideologiewirksam mit dem
Postkolonialismus zu verbinden.
Diese Entwicklung sollte nicht damit verwechselt werden, dass es
hierzulande bisher ein weit verbreitetes Verständnis des Antisemitismus
oder der Shoah gegeben hätte. Vielmehr erfüllt der postkoloniale Turn
das „sehr deutsche Bedürfnis, weniger »deutsch« zu sein“ wie die AG
Antifa aus Halle richtig bemerkt. Denn die „relativierende postkoloniale
Sichtweise auf den Holocaust ermöglicht es, den erdrückenden Ballast der
Vergangenheit abzuwerfen. Dass Deutschland im Vergleich zum Rest der
Welt eine Sonderstellung einnimmt, wenn es um Juden, die Shoah und
Israel geht, haben die Deutschen in erster Linie sich selbst und ihrem
Zivilisationsbruch zu verdanken.“
Noch machen sich die Antisemiten mit ihrem offen zur Schau gestellten
Wahn und Hass auf den Konferenzen, Demos, Camps und Besetzungen kaum Freunde. Dies gilt bisher auch im “Israel müsse sich zügeln” oder “wir halten Äquidistanz” Lager, zumindest oberflächlich. Dennoch werden ihre geistigen Vorreiter an den Unis und in den Redaktionsetagen immer
stärker, wie auch das jüngste Beispiel an der FU Berlin zeigt, wo sich
ca. 300 Lehrende gegen die Räumung des Propali-Camps ausgesprochen
hatten. Zusätzlich sei erinnert an das rekordverdächtig schnelle
Abflauen der ohnehin schwachen Solidarität mit Israel nach dem 7.
Oktober, der Neuinterpretation der deutschen Staatsräson, Huthi-Raketen
Richtung Israel nicht mit der Fregatte Hessen abzufangen oder jüngst die
ohnehin geringen Militärlieferungen einstellen zu wollen. Deshalb kann
es für eine sich als emanzipatorisch verstehende radikale Linke nur
heißen, alles in ihrer Macht stehende gegen diese Entwicklung zu tun.
Und wir freuen uns, aus der Entfernung beobachten zu können, dass es in
Leipzig Leute gibt, die sich den Antisemiten auch direkt entgegenstellen
– wie letzte Woche bei der Unibesetzung.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und solidarische Grüße