Redebeitrag Jugend gegen Rechts Leipzig: Mythos Nakba

Folgender Redebeitrag wurde auf unserer ersten Bündniskundgebung im Mai 2023 von Jugend gegen Rechts Leipzig gehalten:

Die Staatsgründung Israels wird häufig mit antisemitischen, antizionistischen Erzählungen verknüpft. Diese Erklärungsmuster sind nicht nur kennzeichnend für eine pro-palästinensische Bewegung, sondern ziehen sich milieuübergreifend durch die gesamte Gesellschaft. Viele Menschen vertreten die Annahme, der jüdische Staat habe die arabischen Palästinenser*innen ihrer Heimat beraubt und diese vertrieben.
Die Staatsgründung Israels am 14. Mai 1948 wird im palästinensischen Narrativ demnach als “Nakba” bezeichnet, als “Katastrophe”. Mit der Gründung des jüdischen Staates seien sogenannte “ethnische Säuberungen” eingeleitet worden, die für die Flucht und Vertreibung von rund 700 000 arabischen Palästinenser*innen verantwortlich gemacht werden. Der Nakba Tag steht somit auch heute noch für einen pro-palästinensischen anti-zionistischen Widerstand gegen einen jüdischen Staat und delegitimiert diesen eben dadurch. Kennzeichnend für die Verbreitung dieser Erzählung ist unter anderem die Ausstellung “Die Nakba – Flucht und Vertreibung der Palästinenser 1948” des Flüchtlingskinder im Libanon e.V. Seit vielen Jahren wird hier mit großem Erfolg eine geschichtsrevidierende Darstellung des Prozesses der Staatsgründung weltweit an mehr als 175 Orten verbreitet. Für die Kriegshandlungen, die auf die Staatsgründung Israels folgten, werden in dieser Darstellung dabei ausschließlich angebliche Agressionen der Zionist*innen verantwortlich gemacht. Auch morgen wird diese Ausstellung sicher nicht zufällig 75 Jahre nach der Staatsgründung Israels erneut an der Philipps-Universität in Marburg eröffnet.

Aber werfen wir einen Blick in die Geschichte: Am 29. November 1947 stimmte die UN-Generalversammlung für die Resolution 181, die eine Teilung Palästinas in einen arabischen und einen jüdischen Staat, sowie eine internationale Verwaltung der Religiösen Stätten Jerusalem und Betlehem vorsah. Der Teilungsbeschluss basierte vor allem auf der Erkenntnis, dass territoriale Ansprüche der Araber*innen und Jüd*innen unvereinbar und die Teilung in zwei getrennte Staaten somit unabdingbar waren. Vor dem Hintergrund des aufblühenden Antisemitismus bishin zur industriellen Massenvernichtung von Jüd*innen durch die Nationalsozialisten zeigte sich die Notwendigkeit eines jüdischen Staates als weltweit einziger Schutzraum. Während der Beschluss von dem Jishuv anerkannt wurde, lehnte die arabische Seite den für sie vorgesehenen Staat ab. “Kein jüdischen Staat auf arabischen Boden” hieß es. Unmittelbar nach dem UN-Beschluss folgten Ausschreitungen von arabischer Seite, sowie eine Blockade Jerusalems.

Nachdem das britische Mandat über das Gebiet Palästina auslief, erklärte der zukünftige Ministerpräsident David Ben-Gurion Israel am 14. Mai 1948 für unabhängig. Der jüdische Staat war gegründet. Unmittelbar darauf erklärten die Nachbarländer Ägypten, Syrien, Libanon, Irak und Transjordanien Israel den Krieg. Durch die abgeschnittene Versorgung und Belagerung jüdischer Siedlungen ergab sich für die israelischen Streitkräfte die Notwendigkeit, jene Gebiete unter Kontrolle zu bringen, die im UN-Teilungsplan dem jüdischen Staat zugeschrieben worden waren. Israel gelang es, die arabischen Armeen zu schlagen und sein Existenzrecht zu verteidigen.
Fakt ist, der Krieg, der von 1947-1949 andauerte, wurde von arabischer Seite begonnen und nicht von dem neu gegründeten jüdischen Staat.

Im Zuge des Krieges und der vorangegangenen Ausschreitungen haben rund 700 000 arabische Palästinenser*innen israelische Gebiete verlassen und mussten fliehen. Doch anders als behauptet, wurde nur ein kleiner Teil von ihnen gewaltsam vertrieben.
Die Zahl der tatsächlichen Vertreibungen wird von Antizionist*innen höher gesetzt und instrumentalisiert. Was hier “ethnische Säuberung” genannt wird, geht auf den “Plan D” oder “DALET” zurück, welcher jedoch lediglich als militärstrategische Grundlage für Grenzverteidigungen dienen sollte und kein “Masterplan” für systematische Vertreibungen vorsah. Die Palästinenser*innen verließen ihre Häuser aus ganz verschiedenen Gründen. Zum einen wurde das Leben auf jüdischem Gebiet aus arabischer Sicht als Verrat angesehen. Zum anderen wurden jüdische Racheakte für die Progrome in den 30er Jahren befürchtet. Die meisten flüchteten jedoch infolge von Kriegshandlungen und teilweise auf Geheiß der arabischen Staaten, die ihnen eine Rückkehr nach der Zerschlagung Israels versprachen. Palästinensiche Araber*innen begaben sich in die Sicherheit der benachbarten arabischen Länder.
Die traumatischen Erfahrungen, die mit dem Verlassen eines Lebensraumes, den Menschen als ihre Heimat betrachten, einhergehen, sollen hierbei keinesfalls geleugnet werden.

Es wird viel über das Leid von palästinensischen Geflüchteten geredet im Vergleich dazu aber kaum über das der jüdischen. Fast die gesamte jüdische Bevölkerung aus den arabischen Staaten wurde 1948/49 vertrieben. Schon in den Jahren zuvor waren Angriffe auf Jüd*innen Alltag.
Die jüdischen Vertriebenen durften kaum Besitz mitnehmen und erhielten auch im Nachhinein keine Entschädigung von den arabischen Staaten. Ca. 71% der rund 820.000 jüdischen Geflüchteten erhielten in Israel eine neue Heimat und die israelische Staatsbürgerschaft.
Im Gegensatz zu den jüdischen Geflüchteten waren die palästinensischen ein internationales Thema. So wurde eine Hilfsorganisation, das heutige UNRWA ausschließlich für palästinensische Geflüchtete gegründet, wohingegen für alle anderen Geflüchteten weltweit der UNHCR zuständig ist. Weltweit einmalig ist auch das Rückkehrrecht, auf das sich die Palästinenser*innen berufen. Der Flüchtlingsstatus wird dabei von Generation zu Generation weitervererbt. So wurden aus den etwa 700.000 Menschen, die Israel während des Staatsgründungsprozesses verließen, über fünfeinhalb Millionen palästinensische Flüchtlinge, von denen die weitaus meisten das Land, für das ihr „Rückkehrecht“ gefordert wird, noch nie gesehen haben. Wenn sich Israel auf diese Forderung einlassen würde, würden Jüd*innen in Israel nicht mehr die Bevölkerungsmehrheit darstellen und ihr Schutz wäre somit in Gefahr.
Hätten die Vertreter*innen der arabischen Staaten den UN-Teilungsbeschluss damals angenommen, hätte sich keine Notwendigkeit zur Flucht ergeben.
Nicht die Staatsgründung Israels ist also für dieses Problem verantwortlich, sondern der daraufhin von den arabischen Staaten begonnene Krieg.

Wie wir gesehen haben, wird durch den Begriff „Nakba“ und die dahinterstehende geschichtsrevidierende Wahrnehmung der Staatsgründung Israels eine anti-zionistische und damit einhergehend auch notwendig antisemitische Meinung propagiert. Hierdurch entsteht ein verzehrter Diskurs, in dem durch die Dämonisierung israelischer Geschichte gegen Jüd*innen gehetzt wird.
Auch hier in Leipzig organisiert die antisemitische Gruppe Handala in der kommenden Woche mehrere Veranstaltungen mit Nakba-Bezug. Das wollen wir nicht unwidersprochen hinnehmen.
Wir stehen heute hier, um uns solidarisch mit Israel zu zeigen. Das Existenzrecht eines jüdischen Staates bleibt unabdingbar und dessen Selbstverteidigung legitim. Der Mythos Nakba muss aufgeklärt werden. Gegen jeden Antisemitismus.

Redebeitrag Ladenschlussbündnis

Folgender Redebeitrag wurde im Mai 2023 auf unserer ersten Bündniskundgebung von Ladenschluss. Aktionsbündnis gegen Neonazis gehalten:

Dass Antisemitismus in Teilen der radikalen Linken weit verbreitet ist dürfte nach den Interventionen der letzten 30 Jahre hoffentlich allen bewusst sein. Dabei fehlte jedoch weitgehend die kritische Auseinandersetzung mit dessen Rolle als Bindeglied mit unterschiedlichsten regressiven Bewegungen. Dass Antisemitismus immer wieder auch Berührungspunkt zwischen sich als links verstehenden Projekten und der extremen Rechten war, wird innerhalb linker Bewegungen gern unter den Tisch fallen lassen. Wir wollen hier nachhelfen und einen kurzen historischen Überblick geben.

Bereits am deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt bekam der nach außen getragene Antifaschismus der UdSSR und der Komintern Risse, wurde der Antifaschismus hier doch geopolitischen Interessen untergeordnet. Selbstverständlich darf bei dieser Kritik nicht unterschlagen werden, dass die Rote Armee die meisten Toten im Kampf gegen den Nationalsozialismus zu beklagen hatte, und doch war der Hitler-Stalin-Pakt eine von vielen historischen Zäsuren, die progressive Kommunist:innen zur Abkehr vom sowjetischen Gesellschaftsentwurf bewegten.

In den 1950ern wurden antisemitische Politiken im sowjetischen Einflussbereich noch deutlicher sichtbar: eine Reihe von oft antisemitisch gefärbten Schauprozessen, angefangen bei den Moskauer Ärzteprozessen, über den Prozess gegen Noel Field in Ungarn hin zum Prozess gegen Rudolf Slansky in Prag, dem größten dieser Schauprozesse, zeigte, dass sich die Hoffnung nach universeller Emanzipation unter dem Roten Stern vorerst nicht realisieren wird.

Springen wir einige Jahrzehnte nach vorne: Im Zuge der sowjetischen Nahost-Politik, die sich vor allem in einem Buhlen um die Gunst der arabischen Staaten vor der Folie der Blockkonfrontation abspielte, wurde der antisemitische Charakter der antizionistischen Politik im sowjetischen Einflussbereich ab den 1970ern noch deutlicher: nicht nur wurde der Begriff des Holocaust mal eben so umgedeutet, dass er „für den millionenfachen Mord an Juden in den Todeslagern des Hitlerfaschismus und neuerdings für den Ausrottungsfeldzug Israels gegen das palästinensische Volk“ gebraucht wurde, der Fall Odfried Hepp zeigt auch, wie Instrumentell der DDR-Antifaschismus in mancherlei Momenten werden konnte.

Odfried Hepp gilt als eine der Schlüsselfiguren des Westdeutschen Rechtsterrorismus der 1980er Jahre: er wurde als Mitglied der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ geführt, die für das Oktoberfestattentat in München und den antisemitischen Doppelmord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke im Jahr 1980 verantwortlich war. 1982 begann der Kontakt zwischen Hepp und dem Ministerium für Staatssicherheit, der, wegen des bürokratischen Charakters der Stasi recht gut dokumentiert ist. Der bekennende Antiimperialist Hepp informierte das MfS dabei über die interne Struktur seiner terroristischen Gruppe, wie auch deren Pläne für Anschläge auf US-Amerikanische Einrichtungen. Dafür stellte das MfS nicht nur Kontakte zu PLO, der Palestinian Liberation Organization her, für die Hepp daraufhin auch arbeitete, die Stasi half ihm 1983 auch bei der Flucht nach Syrien.

Im übrigen geht aus diesen Akten auch hervor, dass es Pläne zur Kooperation der Hepp-Kexel Gruppe mit der RAF gab, deren Führungsriege „grundsätzlich keine Einwände“ hatte, eine Zusammenarbeit wegen des Fahndungsdrucks aber nicht möglich sei. Dies dürfte noch einmal unterstreichen, dass die Verbindende Rolle, die Anti-Amerikanismus und Antizionismus für diese Unheilvollen Allianzen spielten nicht zu unterschätzen ist.

Aber zurück zur Stasi. Neben der Zusammenarbeit mit Hepp überwachte das MfS auch einige Prominente Neonazis der 1980er: zu Arnulf Priem und Manfred Roeder gibt es auch Aktenbestände, die deren Überwachung durch die Stasi belegen – auch wenn das MfS in beiden Fällen nie tätig wurde weil keine Bedrohung der DDR festgestellt wurde. Mit Blick auf den DDR-Antifaschismus kommt Samuel Salzborn in der Auseinandersetzung mit diesen Drei Fällen zu folgendem Schluss: „Das MfS empfand offensichtlich nicht den Kampf gegen Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus als zentral, sondern in Fällen, die opportun erschienen und bei denen man aufgrund des eigenen Antisemitismus und des eigenen Antiamerikanismus hohe weltanschauliche Übereinstimmungen zu den westdeutschen Nazi-Terroristen ausmachte, wurde sogar über Jahre hinweg der Rechtsterrorismus aktiv unterstützt.“ Der Umgang mit NS-Tätern wie Josef Settnik, einem Aufseher in Auschwitz, der als Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi eingesetzt wurde, Johannes Adam, einem ehemaligen Wachmann in Auschwitz, der trotz des Wissens um seine Täterschaft eine Professur an der Uni Halle erhielt oder Hans Christoph-Hempel, der an den Euthanasie-Morden an der Leipziger Kinderklinik beteiligt war und nach Karl-Marx-Stadt versetzt wurde als das MfS dies herausfand zeigt wie lapidar der Umgang mit vielen NS-Tätern im vermeintlich antifaschistischen Staat doch war.

Doch springen wir ins heute: Denn Antiamerikanismus und Antisemitismus können immer noch als Bindeglied zwischen autoritären Kommunist:innen, Anti-Imperialist:innen und Rechten Bewegungen gefunden werden. Sei es nun Hassan El-Kassem, der von der Berliner Gruppe FOR Palestine in den Vorstand der Jungen Alternative wechselte, der Rapper Makss Damage, der die Wende vom Stalinisten zum Neonazis vollzog, die Rot Jugend Aachen, die ehemalige Kader der Partei „Die Rechte“ bei sich aufnahm, die das NS-Reenactment durch Sowjetcosplay ersetzen und dabei weiterhin antisemitische Propaganda verbreiten, oder der Rapper Taktikka, der bei Instagram auch gerne Bilder von Neonazis liket die „Hitler“-Shirts tragen. Auch der Berliner Jugendwiderstand, von dem glücklicherweise lange nichts mehr zu hören war, nahm Kader aus NPD und Kameradschaftsstrukturen bei sich auf.

Eine Linke, die es also ernst mit dem Antifaschismus meint und diesen nicht nur als eine Worthülse vor sich herträgt sollte sich also auch selbstkritisch mit ihrer eigenen Geschichte auseinandersetzen. Sowjetcosplay, das vor den Schablonen des letzten Jahrhunders stattfindet ist dabei kaum mehr als der Versuch, die Überforderung mit der Moderne mit einfachen Mustern von Gut und Böse zu kompensieren und sich in eine idealisierte Vergangenheit zu flüchten. Lasst uns lieber gemeinsam um progressive Gesellschaftsentwürfe im hier und jetzt streiten anstatt uns in Retrotopien von links zu verlieren und dabei die Interventionen der letzten Jahrzehnte nicht vergessen.

Redebeitrag Utopie und Praxis Leipzig: Kritik regressiver Kapitalismuskritik

Folgender Redebeitrag wurde bei unserer ersten Bündniskundgebung im Mai 2023 von Utopie und Praxis Leipzig gehalten:

Kapitalismus ist irgendwie scheiße. Die bauchlinke Kapitalismus“kritik“, sie begegnet uns in Kneipengesprächen oder auf Social Media und ist sicher oftmals kein schlechter Ausgangspunkt. Aber eben nur, wenn man dieses diffuse Verständnis als Anlass nimmt, sich tiefergehend kritisch mit dem Kapitalismus, der Kritik an Ware, Wert, Arbeit und Kapital auseinanderzusetzen. Warum nicht jede Ablehnung des Kapitalismus automatisch ein guter Minimalkonsens ist und was der Unterschied zwischen tatsächlicher Kapitalismuskritik und Ressentiment ist, welches schnell zu antisemitischen Welterklärungsmustern führen kann, wollen wir im folgenden Redebeitrag erläutern. Denn falsche Kritik an den bestehenden Verhältnissen ist nicht besser als das Bestehende, sondern kann sogar einen Rückschritt bedeuten. Diese Position gilt es mit Blick auf den Antisemitismus, der uns auch in der Linken begegnet, zu unterstreichen.
Eine progressive Überwindung des Kapitalismus ist aus unserer Sicht nur möglich durch eine Analyse der Verhältnisse, welche das System und nicht die Vertreter*innen im Fokus hat. Außerdem muss eine Auseinandersetzung mit vergangenen wie gegenwärtigen Kapitalismuskritiken erfolgen. Nur durch ein Bewusstsein gegenüber rückschrittlichen Tendenzen in Teilen einer irgendwie-linken Bewegung kann eine Perspektive für eine bessere Zukunft entwickelt werden.
Die regressive Spielart des Antikapitalismus, wie sie uns häufig von links begegnet, neigt dazu, Ware, Wert und Arbeit als natürliche Phänomene zu betrachten. Die (in Anführungszeichen) “ehrliche” warenproduzierende und wertschaffende Arbeit wird als positiver Gegenpol zur Aneignung des Mehrwerts (vereinfacht gesagt/also: des Gewinns, den die Lohnabhängigen erwirtschaftet haben) durch die Kapitalist*innen gesehen.
Die Kritik verharrt in dem Zusammenhang also auf der Ebene, dass die ehrlich Arbeitenden mehr Geld bekommen würden, wenn es nur nicht die gierigen Kapitalist*innen gäbe, die die Menschen, wahlweise das Volk, ausbeuteten. Eine Kritik daran, dass Menschen gezwungen sind, ihre Arbeitskraft als Ware zu verkaufen und somit ausgebeutet werden, bleibt aus. Stattdessen wird das Feindbild des “Finanzkapitals” konstruiert, das angeblich vom “normalen Kapital” unterschieden werden könnte. So ist der Weg nicht mehr weit zum Mythos einer Schattenmacht global agierender “Bankster”, welche die Arbeiter*innen betrügen und die Fäden im Hintergrund in der Hand halten. Politiker*innen fungieren in diesen Erzählungen oft als Marionetten.
Für das nicht-eingelöste Glücksversprechen des Kapitalismus wurden und werden also die sogenannten Kapitalist*innen verantwortlich gemacht – eine Personifizierung abstrakter Verhältnisse. Das passiert in der konkreten Person des Juden, aber kann auch antisemitisch codiert sein, wenn nicht direkt von ihnen gesprochen wird, sondern sich das Ressentiment gegen jüdische Familien wie die Rothschilds oder Rockefellers entlädt, die für Ausbeutung und auch sonst alles Elend auf der Welt verantwortlich gemacht werden.

Was wir brauchen ist also eine Kritik des Kapitals und nicht eine an Kapitalist*innen. Kritik an letzteren ist nicht ansatzweise ausreichend, sondern es muss Gegenstand der Kritik werden, dass überhaupt Menschen, vermittelt über ihre Arbeitskraft, zur Ware werden.

Wir wollen selbstbestimmt tätig sein oder eben auch mal nicht. Aktuell können Menschen nicht darüber entscheiden, was sie brauchen und wollen, sondern nur, was sie sich leisten können. Das stellt den Zwang zum Verkauf der eigenen Arbeitskraft dar. Die Gegnerschaft zum Arbeitszwang bedeutet dabei nicht, die Notwendigkeit menschlicher Tätigkeit zu negieren.

Des Weiteren führt der unkritische Bezug auf Arbeit in der Linken zu einer Überschätzung des fortschrittlichen Potentials der Arbeiter*innenklasse. Das Sprechen von der guten Arbeiter*innenklasse – das essentialisierende Mantra roter Gruppen – lässt sich nicht an den historischen Fakten halten. Aus dem Ausbeutungsverhältnis erfolgt nicht automatisch die Erkenntnis über die Notwendigkeit der Abschaffung des Kapitalismus und das Eintreten für die befreite, also klassenlose Gesellschaft. Die überproportional hohe Zustimmung zur AfD unter Gewerkschafter*innen ist nur ein Beispiel für diesen Befund.
Und dass Antisemitismus eine einfache Antwort war, die von weiten Teilen der Bevölkerung mitgetragen wurde und sich die Arbeiter*innenklasse nicht geschlossen gegen den Nationalsozialismus stellte, zeigte Auschwitz in letzter Konsequenz.
Auf Grundlage von solchen und weiteren Analysen ist unser Ziel daher, den Wunsch nach einem besseren, dem schönen, dem befreiten Leben wieder in den Mittelpunkt zu rücken. Die gefühlte Ohnmacht gegenüber dem Bestehenden soll nicht mit “sich ergeben” oder verkürzter Kritik und damit einhergehenden antisemitischen Ressentiments beantwortet werden. Das war, ist und bleibt immer falsch!
Deswegen gilt: Für den Kommunismus, für die befreite Gesellschaft – gegen jeden Antisemitismus!

Redebeitrag Fantifa Leipzig: Israelsolidarität und radikale Linke

Folgender Redebeitrag wurde von der Gruppe Fantifa Leipzig auf unserer ersten Bündniskundgebung im Mai 2023 gehalten:

Seit einiger Zeit beobachten wir, mit welch offensiver Präsenz sich antiimperialistische Gruppen in Leipzig ausbreiten. Regelmäßig wollen sie ihre vermeintlich linken Positionen auf die Straße tragen. Gut sichtbar dabei: Unter den Antiimps zeichnet sich ein fast schon antizionistischer Mainstream ab. Wir fragen uns, seit wann es cool geworden ist, seinen Antisemitismus mal mehr und mal weniger unter roten Schlauchis zu verstecken.
Israel bildet für diese Gruppen Projektionsfläche ihrer antizionistischen Konzeptionen und sie scheuen sich auch nicht davor, einfache und falsche Zuschreibungen wie “Apartheidsstaat” oder “Kindermörder Israel” zu propagieren.
Immer wieder wird Israel als Aggressor und Gefahr für den Weltfrieden dämonisiert, immer wieder können wir ein Geschwafel vernehmen, dass Israel als “den bösen Imperialisten” bezeichnet. Die existenzielle Bedrohung Israels wird dabei fleißig geleugnet und die Einsicht, dass Israel ein handlungsfähiger Staat ist, der sich gegen Terrororganisationen wehren und schützen kann, führte doch schon in den 60er Jahren zu einem blühenden Antizionismus.
Sodass sich unter dem Deckmantel des Antiimperialismus vor allem eines versteckt: Der eliminatorische Hass auf Israel.

Durch eine Reduzierung und Verkürzung von ökonomischen, politischen und sozialen Zusammenhängen scheint ein solcher Antiimperialismus erstmal eine verständliche Art der Welterklärung zu sein. Aber alles einfach in dichotomische Zusammenhänge zu bringen erklärt die Welt noch nicht. In seiner Unterkomplexität liegt dem Antiimperialismus damit eine grundlegende Nähe zu antisemitischen Erklärungs,- und Denkstrukturen inne. Diese Ähnlichkeiten führen oft zu inhaltlichen Übereinstimmungen und gipfeln in antizionistischen Zerstörungsphanstasmen, grassierenden Verschwörungsmythen und antisemitischer Gewalt. Diese Gewalt zeigt sich in der Verbrennung von Israelfahnen, in Shoa-Relativierungen (und in) antisemitischen Parolen, die die Auslöschung Israels fordern, (sowie in Anschlägen auf Synagogen, wie zuletzt in Essen oder Ermreuth und in dem antisemitischen Attentat in Halle.)

Um die Forderung nach der Zerstörung Israels als imperialistische Macht nach Ausschwitz überhaupt aussprechen zu können, war es vor allem notwendig, Israel von der Shoa zu trennen.
Folglich lässt sich im Antiimperialismus auch eine gravierende Geschichtsvergessenheit verzeichnen.
Ein Antiimperialismus, der die sytematische Vernichtung von Juden und Jüdinnen nicht anerkennt, bewusst auslässt und der die daraus notwendigen Konsequenzen einfach nie gezogen hat.
Diese Geschichtsvergessenheit zeugt von einer elendigen Ignoranz, die zwangsläufig zu einer Verkennung des Zusammenhangs zwischen Antisemitismus, der Shoa und der Unabdingbarkeit eines jüdischen Staates führt. Wer die Singularität, die Spezifik der Shoa jedoch verkennt, der kann auch kein Verständnis über die Alternativlosigkeit eines jüdischen Staates haben. Denn auch wenn es schon vor ’48 zionistische Bewegungen gab, war doch spätestens vor dem Hintergrund der industriellen Massenvernichtung klar: Es braucht einen unabhängigen Staat Israel, in dem Juden und Jüdinnen keine Minderheit darstellen und in dem sie frei und sicher leben können. Wer Israel also den Kampf ansagt, nimmt im gleichen Atemzug die erneute Verfolgung von Jüd*innen in kauf. Die Aussage “ich bin kein Antisemit nur Antizionist” zieht nicht. Ihr könnt euch nicht hinter eurem Israelhass verstecken. Antizionismus ist auch immer Antisemitismus.

Wenn wir also als radikale Linke über Antifaschismus sprechen, so muss doch die Grundlage unserer Kämpfe, unserer Arbeit und unseres Selbstverständnisses sein, dass Ausschwitz sich nicht wiederholt.
Der antifaschistische Kampf muss in Konsequenz immer Solidarität mit Israel bedeuten.
Wer diese Konsequenz nicht zieht und damit die Notwendigkeit des einzigen Schutzraums für jüdisches Leben weltweit nicht erkennt, wer die Existenz eines jüdischen Staates in Frage stellt, ihn gleichsam delegitimiert, kann sich weder als links, noch als Genoss*in und erst recht nicht als Antifaschist*in bezeichnen.
Als progressive, emanzipatorische Linke ist es unsere Aufgabe im Land der Täter jegliche Formen von Antisemitismus niemals einfach hinzunehmen, ihnen konsequent entgegen zu wirken und sie überall zu bekämpfen.
Der Kampf für eine Gesellschaft, in der jeder ohne Angst verschieden sein kann, muss sich folglich immer auch als Kampf gegen Antisemitismus verstehen.
Dabei dürfen wir uns nicht in einer lächerlichen Feindschaft zwischen Antiimps und Anti-Ds verlieren, verkennt diese doch, worum es hier eigentlich gehen muss:
Um die Sicherheit jüdischen Lebens in einer postnationalsozialistischen Gesellschaft, die nicht erst in den letzten Jahren immer mehr antisemitische Gewalt hervorgebracht hat.
So muss uns doch klar sein, dass Antisemit*innen keine progressive oder revolutionäre Kraft für die Befreiung der Gesellschaft sein können – auch wenn sie es allzu gerne behaupten. Konsequent gegen jeden Antisemitismus ernst zu nehmen, muss bedeuten die Unverzichtbarkeit Israels als Schutzraum und als Lebensversicherung für Jüd*innen weltweit anzuerkennen und zu verteidigen.